Über den Humane AI PIN haben wir kürzlich geschrieben in dem Zusammenhang, dass das Community-Projekt OpenPIN eingestellt wurde. Damit ist das KI-Produkt, auf welches so viel Hoffnung lastete, zweimal gestorben. Die Geschichte hinter diesem millionenschweren Projekt ist aber interessant, denn das Produkt hatte das Potenzial, sich in den Alltag vieler Menschen zu integrieren. In dieser Analyse schauen wir uns an, was gut lief und welche Fehler begangen worden sind.
Ein Post-Mortem der 700-Dollar-KI zum Anstecken
Als der Humane AI PIN angekündigt wurde, war die Tech-Welt gespannt: Ein KI-Wearable, entwickelt von ehemaligen Apple-Veteranen, das den Smartphone-Bildschirm überflüssig machen sollte. Der Enthusiasmus hierüber war enorm! Viele namhafte Firmen wie Volvo, LG und Microsoft haben investiert, sowie Sam Altmann, der CEO von OpenAI höchstpersönlich. Unterstützt wurde das Projekt von der Telekom, um das Netz dahinter am Laufen zu halten. Das KI-Produkt wurde nämlich nicht über das Smartphone betrieben, sondern funktionierte hiervon unabhängig.
Die Vision von Humane: Eine KI, die du einfach an deinem Shirt trägst – mit Projektion auf die Handfläche, Sprachsteuerung, Kamera und Umgebungsintelligenz. Die Projektion sollte sogar bei Sonneneinstrahlung bestens zu lesen sein. Bei der Vorstellung gab es einige Versprechen.
Die Realität? Ein teures Gerät mit zu vielen Abhängigkeiten, technischen Engpässen und Designentscheidungen, die mehr Show als Substanz lieferten. Hier ist die technische Autopsie eines Produkts, das nie eine echte Chance hatte. Zudem waren die Abfragen ziemlich langsam und ablesbar waren die Projektionen auch nicht sonderlich gut, primär draußen bei Sonnenschein.
1. Hardware: Zu ambitioniert für die eigene Größe
Prozessor: Schwachbrüstiger Snapdragon
Im AI PIN werkelte ein Snapdragon-Chip, wie man ihn aus Smartwatches kennt. Für einfache Aufgaben okay – aber für lokale KI-Inferenz schlicht zu schwach. Alles Rechenintensive lief über die Cloud. Damit war das Gerät abhängig, langsam und energiehungrig.
Akku: Kurzlebig und schnell überfordert
Unter 1.000 mAh Kapazität – das ist in Ordnung für ein Bluetooth-Gadget, aber nicht für ein Gerät, das Kamera, Projektion, Mikrofone und Cloudverbindung parallel betreibt. Schon bei moderater Nutzung war nach wenigen Stunden Schluss.
Projektion: Beeindruckend, aber kaum alltagstauglich
Das projizierte Interface auf der Handfläche war optisch beeindruckend – bis man es benutzen wollte. Tageslicht, Bewegungen oder ungünstige Winkel machten die Anzeige schwer oder gar nicht erkennbar. Eine tatsächliche Interaktion über die Projektion war nicht vorgesehen.
Sensorik & Kamera: Limitiert und schwer justierbar
Der AI PIN verfügte über eine Kamera zur Objekterkennung, Mikrofone für Sprachsteuerung und Lidar zur Raumerfassung. In der Praxis waren die Blickwinkel zu eng, die Mikrofone zu anfällig für Nebengeräusche, und die Sensoren insgesamt zu begrenzt, um verlässlich Kontext zu erkennen.
2. Software & Architektur: Locked-In und Cloud-only
KI? Ja – aber nur in der Cloud
Alle Funktionen, die das Gerät „intelligent“ machen sollten – Sprachverarbeitung, Kontexterkennung, Antworten generieren – liefen über Humane-Server. Ohne Internetverbindung war der PIN nutzlos. Und als die Server abgeschaltet wurden, blieb nichts außer einem Akku mit Knopf.
Keine APIs, keine Erweiterbarkeit
Entwickler hatten keine Chance, das System zu erweitern oder anzupassen. Humane stellte weder APIs noch SDKs bereit. Wer eine eigene App schreiben wollte, hatte keine Option. Das machte das Gerät zur Blackbox – und verhinderte jede Form von Ecosystem.
OTA-Updates als Reparaturversuch
Zahlreiche Funktionen liefen beim Launch nur eingeschränkt oder fehlerhaft. Das Unternehmen versprach Besserung per Over-the-Air-Updates. Doch das ist ein schwacher Trost, wenn die Grundfunktionalität fehlt – und Vertrauen in die Plattform nicht aufgebaut wurde.
3. Designentscheidungen: Form over Function
Wearable, aber nicht robust
Der AI PIN war magnetisch an der Kleidung befestigt – elegant, aber instabil. Lockere Stoffe oder Bewegung konnten zu Positionsverschiebungen führen, was Sensoren und Projektion beeinträchtigte. Ein Gerät, das ständig perfekt sitzen muss, ist im Alltag fehl am Platz.
Keine echte Rückmeldung
Ohne Display oder einfache visuelle Ausgaben blieb der PIN auf Sprachfeedback und Projektion angewiesen. In lauter Umgebung oder bei schlechtem Licht war das unpraktisch oder schlicht unbrauchbar. Eine einfache LED-Statusanzeige hätte in vielen Situationen geholfen.
Preis vs. Nutzen: Ein Missverhältnis
700 Dollar für die Hardware plus 23 Dollar monatlich für den Dienst – das war eine steile Einstiegshürde. Für ein Gerät, das grundlegende Erwartungen an Stabilität und Nützlichkeit nicht erfüllte, war das Geschäftsmodell nicht tragbar.
4. Der Super-GAU: Cloud tot, Gerät tot
Der größte architektonische Fehler war die völlige Abhängigkeit von den Servern von Humane. Es gab kein Fallback, keine Offline-Modi, keine Minimalfunktionen. Als HP das Unternehmen übernahm und die Server abschaltete, war der AI PIN schlicht Elektroschrott. Nicht einmal eine Taschenlampenfunktion funktionierte ohne Cloudbindung.
Ein modernes Gerät ohne jede lokale Intelligenz ist ein Risiko – für Nutzer wie für Hersteller.
5. Fazit: Visionär gedacht, aber technisch zu schwach
| Bereich | Humane AI PIN (Realität) | Was nötig gewesen wäre |
|---|---|---|
| Rechenleistung | Cloud-only | Lokale KI mit Edge-Beschleunigung |
| Projektion | Spielerei, instabil | Reduziertes Interface oder Mikro-Display |
| Akkulaufzeit | Schlecht | Besseres Energiemanagement |
| Plattform | Geschlossen | Offen, modular, entwicklerfreundlich |
| Infrastruktur | Zentralisiert | Hybrid oder dezentral |
| UX | Optik vor Alltagstauglichkeit | Funktional, robust, verständlich |
Der Humane AI PIN wollte das Smartphone ablösen – und war in der Praxis nicht einmal ein funktionierender Sprachassistent. Die Technik konnte den Anspruch nie erfüllen.
6. OpenPIN: Ein letztes Aufbäumen
Nach der Abschaltung versuchte die Community, dem Gerät neues Leben einzuhauchen. Mit dem Open-Source-Projekt OpenPIN konnten einige Grundfunktionen – etwa lokale Spracherkennung – wiederhergestellt werden. Doch das Projekt war von Anfang an unterbesetzt und scheiterte letztlich an fehlender Infrastruktur und Entwicklungskraft.
Auch der zweite Versuch, den PIN zu retten, endete leise – und endgültig. Ich empfehle, meinen ursprünglichen Artikel zu lesen, um weitere Informationen zu erhalten und um das Projekt besser zu verstehen:
Abschluss meiner KI PIN Analyse
Der Humane AI PIN war ein technisches Experiment mit mutiger Vision, aber ohne tragfähiges Fundament. Wer heute KI-Wearables baut, muss nicht nur beeindrucken, sondern funktionieren. Der Markt verzeiht keine halbfertigen Produkte – schon gar nicht zu Premiumpreisen. Und ohne lokale Intelligenz, offene Plattform und echte Alltagstauglichkeit bleibt jede Innovation nur eine Idee. Keine Lösung. Ich denke, dass das Produkt zu früh veröffentlicht worden war. Es hätte noch 1 bis 2 Jahre mindestens benötigt, um die Technik darin, wie auch die Projektion, zu verbessern.


